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Tagung in Warschau: Toleranz, Respekt und Achtung

Am 4. und 5. Dezember 2007 veranstaltete das österreichische Kulturforum Warschau und der Lehrstuhl für Gender Studies der Universität Warschau eine Tagung zum Thema Unterschiede zwischen Toleranz und Respekt.
Mein Vortragsthema in diesem Rahmen: „Vorteile gesellschaftlicher Vielfalt“.

v.l. Prof. Krzysztof Wielecki, Prof. Bozena Choluj, Dr. Ursula Kubes-Hoffmann, Dr. Claudia Neusüß

Hier ein Tagungsbericht von Anke Ochsenreither, Trainee in dem von mir geleiteten Trainingsprogramm „Gender Mainstreaming und Antidiskriminierung“.

Konferenzbericht:

Wir sind alle auf unsere Art und Weise einzigartig und haben Respekt verdient – so könnte man die vom Österreichischen Kulturforum und den Gender Studies der Universität Warschau veranstaltete Internationale Konferenz zusammenfassend beschreiben. Auf der Suche nach dem „Unterschied zwischen Toleranz und Respekt“, so der Titel der Konferenz, waren am 4. und 5. Dezember unterschiedlichste Rednerinnen zusammengekommen. Die Geladenen berichteten aus den verschiedensten disziplinären Herangehensweisen und Blickwinkeln, ließen uns aber auch an ihrer alltäglichen Praxis teilnehmen. In Inputreferaten wurden aus dem jeweiligen Bereich die Erkenntnisse vorgestellt.

Zunächst einmal ging es um die Klärung der grundlegenden Begriffe, die neu aufgerollt und entfaltet wurden; unter anderem wurde von Ursula Kubes-Hofmann auf die Selbstachtung verwiesen, die in engem Zusammenhang mit einer Befähigung und der Fähigkeit zur Anerkennung (von anderen) steht. Unterschiede zwischen Menschen werden generiert und beibehalten, damit Machtunterschiede aufrechterhalten werden können. Um Probleme lösen zu können, ist eine Kommunikation zwischen allen Beteiligten nötig. Es sollte auf die Betroffenen gehört werden, denn es ist nicht möglich, Probleme für andere zu lösen sondern nur mit anderen.

Dies konnte auch von Joanna Skozcek bestätigt werden. Sie arbeitet im Rathaus Warschau in der Abteilung für Behindertenfragen und forderte alle von Diskriminierung direkt betroffenen Personen wie aber auch Personen, die Diskriminierung von anderen bemerken, sich an das Rathaus zu wenden. Nur so kann das Rathaus entsprechend reagieren und ein Abbau von Diskriminierung gelingen.

Auf der theoretischen Ebene wiederum setzte sich Daniel Bischur für einen Begriff des „Prinzips der Toleranz“ ein, der über die reine alltägliche Vorstellung von Toleranz hinausgeht. Toleranz stehe demnach für ein moralisches Prinzip mit Verpflichtungscharakter, das aus einer Ablehnung- wie auch Zustimmungskomponente besteht. Hier werden die Grenzen von Toleranz sehr deutlich gemacht: bis zu welchem Punkt toleriere ich etwas, aber an welchem Punkt beginne ich, etwas „Anderes“ abzulehnen? Krzysztof Wielecki referierte über die Notwendigkeit von Identitätsbildung in einer momentan sehr unsicheren Zeit, die auf Grund der fortlaufenden Transformation der polnischen Gesellschaft notwendig werde.

Auf eine sehr anschauliche Art und Weise, die das Publikum mit einbezog und persönlich ansprach, entwickelte Claudia Neusüß ihre Ideen zur „Vielfachen Vielfalt“. Auch in der Gleichstellungspolitik ist Vielfalt eine neue Herausforderung, der mit Diversity Management begegnet werden kann. Ob dabei aber die Geschlechterfrage hinterrücks fällt, oder ob Gender und Diversity „Albtraum oder Traumpaar“ werden, das hängt von der jeweiligen Praxis ab.

Im 2. Podium ging es um eine der großen Fragen, die sich durch die Inputreferate aber auch durch die Diskussionen und privaten Gespräche zog: die nach dem Punkt oder der Grenze, wann Toleranz und Respekt brechen, d.h. was wir als „zumutbar“ erleben und was wir als so „anders“ erleben, dass wir damit nicht umgehen können oder wollen? Dabei plädierte Mouhanad Khorchide über die Notwendigkeit eines aufgeklärten, modernen Islams, der sich als Beitrag zu einer offenen Gesellschaft versteht. Elżbieta Rajczak teilte mit uns ihre Erfahrungen als „Andere“ in der Gesellschaft, d.h. ihr tagtägliches Erleben als rollstuhlfahrende Frau, die toleriert und als anwesend erkannt wird. Wenn sie aber dem „Kollektivinteresse im Weg steht“, dann wird aus Toleranz eher das Interesse, das Problem schnell aus dem Weg zu räumen. Sie verwies auf den Fuchs aus dem Kleinen Prinzen; wir sollten uns mit den Unterschieden der Anderen vertraut machen und das Anderssein in die offene Gesellschaft aufnehmen.

Robert Biedroń sieht das Erkennen des „Anderen“ ebenfalls als Abwehrmechanismus, wenn Menschen etwas unvertraut erscheint. Die Frage nach der Assimilation oder der Integration von „anderen“ Personen endet meist mit einem Verzicht der „Anderen“ auf ihre Andersartigkeit. Mit einem Bericht über die Lage der Frauen in Bulgarien eröffnete Theodora Karamelska, uns neue Blicke auf ein europäisches Land, das noch mitten im beginnenden Transformationsprozess steckt. Dabei verwies sie auf die Schwierigkeiten in Bezug auf die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen.

Am zweiten Tag der Konferenz wurde vor allem auf die Vorteile, die Vielfalt in einer Gesellschaft haben kann, geschaut. Ewa Rutkowska eröffnete den Tag mit Informationen zum Stand der Diversity-Management-Umsetzung in Polen. Diversity ist vor allem ein Mittel, mit dem Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt verändert werden können. Schwierigkeiten mit diesem Mittel sah Ewa Rutkowska vor allem in Bezug auf die kleineren Unternehmen und in der möglichen Ausnutzung von Diversity als rein ökonomisches Prinzip ohne moralischen Anspruch.

Yga Kostrzewa referierte über die Haltung der polnischen Gesellschaft und Politik gegenüber von Schwulen, Lesben, Bi- und Transgender-Personen. Vor allem gegenüber Schwulen sei die Gesellschaft negativ eingestellt, sie werden als „Import aus dem Westen“ gesehen. Lesben hingegen werden nicht als seriöse Personen wahrgenommen, sie haben kein politisches Gewicht. Über die Kunst und ihre Möglichkeiten politisch zu sein, referierte Paweł Leszkowicz. Er zeigte Bilder, die aus verschiedenen Ausstellungen über das private und intime Leben stammten. Darunter waren Bilder von gleichgeschlechtlich lebenden Paaren zu sehen, eine Ausstellung die 2003 in Polen großes Aufsehen erregte.

Dabei sieht Paweł Leszkowicz die Rolle der Demokratie in der Verinnerlichung, als eine Art intime Demokratie. Durch diese lässt sich eine neue Sicht auf die Beziehungen von Ästhetik, Erotik, Ethik und Politik eröffnen.

Über die Erfahrung von Behindert-Sein/Werden aus der Sicht von Multiple Sklerose-Erkrankten berichtete Izabella Czarnecka. Auch aus ihren Worten wurde deutlich, so nötig auch Gesetzgebungen und Richtlinien und deren Auslegung und Dehnungsmöglichkeiten sind, dass es nicht nur darum geht, fixe Gesetze zu haben sondern auf jede einzelne Person und deren Bedürfnisse einzugehen.

Als Abschluss eröffnete Eva Posch-Bleyer Wege und Möglichkeiten, wie vor allem Kinder angstfrei und respektvoll mit „den Anderen“ umgehen lernen können. Schlüssel zu einem solchen Umgang ist Empathie; d.h. die Fähigkeit, auch einen Perspektivwechsel vorzunehmen.
So vielfältig wie die Referate, Berichte und Inputs, so groß war der Diskussionsbedarf unter den Anwesenden. Längst reichte die Zeit nicht aus, so dass alle Kaffee-Pausen zum eifrigen Weiterdiskutieren und Vernetzen genutzt wurden. Damit wurde sozusagen der Schlüssel zu einer möglichen Verständigung gelegt: die Kommunikation, der Dialog, die Diskussion sind die Möglichkeiten, die wir haben, um uns zusammenzubringen und uns kennen zu lernen.

Abschließend brachte Bozena Choluj, eine der VeranstalterInnen, es auf den Punkt: „Nächstes Mal brauchen wir auf alle Fälle einen Rahmen von mindestens 3 Tagen, um unseren Diskussionsbedarf stillen zu können.“

Prof. Dr. Bozena Choluj zum Konzept der Tagung:

Im Rahmen dieser interdiziplinären Tagung wird die Bedeutung und die Funktion der beiden Begriffe Toleranz und Respekt bzw. Achtung untersucht. Die multikulturellen Erfahrungen in den Ländern der Europäischen Union sowie in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Idee der Toleranz, die bis heute deutlich positive Konnotationen hat und die zum ständigen Element der nationalen und internationalen Politik wurde, nicht ausreichend ist.

Die Toleranz lässt zwar die friedliche Koexistenz der kulturellen Unterschiede und der sie vertretenden Menschen zu, lädt diese aber nicht zur Kommunikation ein. Zwar besteht die Bereitschaft, viele Unterschiede zu dulden, aber dies nur bis zu dem Punkt, an dem die Abgrenzung zu diesen Unterschieden möglich ist und diese Unterschiede den Einzelnen nicht direkt berühren. Die Toleranzschwelle sinkt automatisch, sobald in der nächsten Umgebung des Einzelnen ein Unterschied sichtbar wird, der bisher nur bei anderen geduldet wurde.

Erst die Achtung der Unterschiede befreit uns von der Angst und Feindlichkeit gegenüber den betroffenen Menschen. Wie kann eine solche Achtung erreicht werden? Welche Mechanismen können behilflich sein, um ein politisches und gesellschaftliches Toleranzprojekt in ein Projekt der Achtung umzuwandeln?

Die Tagung setzt sich zum Ziel, diesen Fragen im Zusammenhang mit schwierigen und zum Teil auch tabuisierten Themen wie z.B. Widerwille gegen einige religiöse oder ethnische Gemeinschaften, Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, oder von Personen, die stets mit einem nicht adäquatem Begriff der Behinderung bezeichnet werden, nachzugehen

Diese interdisziplinäre Tagung soll versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben bzw. Lösungen vorschlagen, die die Fähigkeit der Menschen, Achtung zu entwickeln, fördern.

Auch soll der Kunst ein Platz eingeräumt werden, die sehr oft Pionierarbeit beim Aufgreifen von schwierigen Themen leistet.

Nach dem politischen Umbruch in Ost- und Mitteleuropa, und noch deutlicher nach der Erweiterung der Europäischen Union erfolgt in diesem Teil Europas eine intensive und vielseitige Ausdifferenzierung der Gesellschaft: es sind nicht nur die neuen kulturellen Unterschiede in Folge der größeren Mobilität im Rahmen der EU zutage getreten, sondern auch diejenigen, die jahrelang wegen der herrschenden Normen oder der Atmosphäre des Widerwillens gegen sozialhilfsbedürftige Personen ausgeblendet wurden.

Gleiche Rechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung und Leistungsfähigkeit unter veränderten politischen Bedingungen bedeuten keinesfalls die Gleichmachung aller Menschen und damit im Zusammenhang die Nivellierung der Unterschiede.

Es handelt sich viel mehr um die Wertschätzung der Unterschiede, die die Kommunikation zwischen den einzelnen Personen, Institutionen und Kulturen ermöglicht. Gemeint ist hier jene Kommunikation, die die Achtung der Unterschiede zulässt, ohne welche es keine Chance für eine dynamische Entwicklung und die Bereicherung der Kultur gibt.

Unterschiede, die als Bereicherung und nicht als Belastung empfunden werden, bedürfen riesiger Änderungen in der persönlichen Einstellung.
Im Jahr der Gleichheit sind die Menschen aufgerufen, sich Gedanken über neue Mechanismen zu machen, die zur neuen Sicht auf die Bedeutung des Unterschieds, ja auf die Vielfalt der Gesellschaft beitragen könnten.

Programm:

1 Podium: Die respektierte Vielfalt und die nicht erwünschten Unterschiede
Welche Unterschiede gibt es überhaupt? Wann ist die Toleranz möglich und wann die Achtung? Innerhalb der Toleranz erwarten wir kulturelle Vielfalt, bringen aber einigen Unterschieden gegenüber keine Achtung auf. Die Bereitschaft der Achtung beschränkt sich allzu oft auf Bekanntes und Gefälliges. Wodurch unterscheiden sich die Menschen voneinander, woran merken wir die Unterschiedlichkeit der Menschen, warum betonen wir gerade das, was uns von den anderen unterscheidet?

2. Podium: Unterschiede: achten oder nivellieren oder politische, gesellschaftliche und psychologische Probleme mit den gesellschaftlichen Unterschieden
Was verhindert die reale Achtung der Unterschiede? Ignoranz bedeutet nicht Aufhebung der Unterschiede. Was heißt: Unterschiede aushalten? Muss Gleichheit Utopie bleiben? Welche Wege führen zu einer offenen Gesellschaft?

3. Podium: Vorteile der gesellschaftlichen Vielfalt
Diversity im sozialen, kulturellen und politischen Bereich, Konfliktmanagement, reale Profite aus der Vielfalt des Arbeitsteams ziehen, Qualitätssicherung durch Gleichstellung der Geschlechter, es sind heute keine hohlen Formeln. Mit diesen Denkansätzen und Modellen arbeiten heute Beraterinnen und Berater großer Firmen, Nichtregierungsorganisationen, die es müde sind, Gleichheit bloß zu postulieren oder von anderen zu verlangen. Die kreative, innovative und konstruktive Vielfalt erreichen sie durch Integration der Unterschiede. Wie sieht ihre Praxis aus? Wie mobilisieren sie dabei vorhandene Unterschiede?