Am 23.März 2010 veranstaltete der DGB in Berlin die von mir moderierte Tagung Eine Arbeitswelt für alle. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Arbeitsleben
Anke Caspers über zentrale Ergebnisse der mit über 120 Leuten gut besuchten Tagung: Ein Jahr UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland – Umsetzung bisher erfolgreich?
Der schon durch vorherige nationale Gesetze für Menschen mit Behinderung (SGB IX, BGG, AGG) vollzogene Paradigmenwechsel, der Selbstbestimmung an Stelle von Fürsorge in den Vordergrund stellt, wird durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention bestätigt.
Wie Elke Hannak (Ver.di) hob auch Dr. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle am Deutschen Institut für Menschenrechte positiv hervor, dass die Konvention sich vom defizitorientierten Denken verabschiedet und die Betonung auf die Wertschätzung von Vielfalt setzt. Menschen mit Behinderung werden als normaler Teil der Gesellschaft anerkannt, die behindert werden und nicht behindert sind.
Dr. Valentin Aichele zog eine positive Bilanz des letzten Jahres. Die Konvention sei u.a. durch Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne 'alle inklusive' bekannter geworden als jede andere Menschenrechtsvereinbarung. Auch sei sie seit ihrer Ratifikation von allen Seiten als Maßstab für Politik akzeptiert und gelte als festes Referenzdokument, auf das sich viele beziehen. Seit der Ratifizierung findet viel Bewegung statt, wichtige Prozesse werden von der Basis angeregt. Als erstes Bundesland hat Rheinland-Pfalz einen Aktionsplan für die Umsetzung der Konvention vorgelegt.
Inklusive Bildung – wesentliche Voraussetzung für eine bessere berufliche Teilhabe
Inklusion ist ein Schlüsselbegriff in der UN-Behindertenrechtskonvention. In Abgrenzung zum Begriff Integration, der eine Anpassungsleistung der behinderten Person fordert, impliziere der Begriff Inklusion laut Elke Hannak eine Anpassungsleistung der gesamten Gesellschaft.
Die Inklusion behinderter Kinder in die Regelschule mahnten alle Beteiligten als wesentliche Grundlage für bessere Chancen jugendlicher und erwachsener Menschen mit Behinderung auf dem regulären Arbeitsmarkt an.
Viele Bundesländer reagierten noch zögerlich auf die Forderung der UN-Konvention, Regelschulen für behinderte Kinder zu öffnen. Das oft genannte Argument höherer Kosten wies Hubert Hüppe, neuer Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, mit dem Hinweis ab, dass beispielsweise durch wohnortnahen Schulbesuch Kosten für den Transport der Kinder wegfallen würden. Von einem gemeinsamen Schulbesuch würden Kinder mit und ohne Behinderung profitieren. Dr. Jürgen Wuttke (BDA) merkte an, dass ArbeitgerberInnen möglicherweise u.a. vor einer Einstellung schwerbehinderter Menschen zurückschreckten, weil sie den Umgang mit diesen Menschen bzw. ihre Bedürfnisse nie kennengelernt haben. Eine inklusive Schule könnte diesbezüglich langfristig eine Änderung bewirken.
Blick in den Alltag der betrieblichen Schwerbehindertenvertretungen
Von ihren praktischen Erfahrungen in der beruflichen Integration schwerbehinderter MitarbeiterInnen berichteten die Schwerbehindertenvertreterin Gisela Kowalczyk der Bosch AG in Hildesheim und ihr Kollege bei der BSR, Helmfried Hauch. Beide Unternehmen haben große Fortschritte im Bereich der Integration von MitarbeiterInnen mit Behinderungen erreicht. So wurde in der Bosch AG beispielsweise ein hauseigenes betriebliches Eingliederungsmanagement aufgebaut. Helmfried Hauch berichtete über das seit 2003 erfolgreich durchgeführte Lernbehindertenprogramm der BSR. Zehn Jugendliche mit Lernbehinderung hätten jährlich die Möglichkeit, ein Jahrespraktikum bei der BSR abzuleisten. Wenn dieses erfolgreich verläuft, bekämen sie die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung. In der Bilanz könnten im Schnitt acht der zehn Jugendlichen übernommen werden.
(im Vordergrund: Gebärdendolmetscher)
Sind neue Gesetze notwendig?
Die ReferentInnen waren sich nicht einig über den Bedarf an neuen Gesetzen zur erfolgreichen Umsetzung der Konvention. Dr. Jürgen Wuttke schloss sich der Meinung der vorherigen Bundesregierung an, dass es keiner neuen Gesetze bedürfe. Auf der anderen Seite sahen sowohl Dr. Valentin Aichele als auch Annelie Buntenbach (DGB) sehr wohl einen Handlungsbedarf auf gesetzgeberischer Ebene.
Eine Teilnehmerin aus dem Publikum merkte an, dass eine tatsächliche Umsetzung bestehender Regelungen bereits große Fortschritte bringen könnte. Diese sei aber aufgrund fehlender Sanktionsmöglichkeiten nur schwer möglich. Hubert Hüppe stimmte ihr zu und regte die Möglichkeit an, ArbeitgeberInnen, die sich für die Inklusion schwerbehinderter ArbeitnehmerInnen einsetzten, zu belohnen.
Gegen eine weiterführende Beschäftigungspflicht schwerbehinderter ArbeitnehmerInnen sprach sich Dr. Jürgen Wuttke aus. ArbeitgeberInnen könnten in den nächsten Jahren nicht stärker finanziell belastet werden und sollten zudem Schwerbehinderte aus eigener Überzeugung freiwillig einstellen. Annelie Buntenbach merkte an, dass Beispiele anderer Länder sehr wohl zeigten, dass eine Pflichtquote für bestimmte Gruppen von Beschäftigten eine positive Veränderung bringen könne, ohne dass die Wirtschaft darunter leiden müsste. So wäre Norwegen auch nach Einführung einer verpflichtenden Frauenquote von 40% in Aufsichtsräten und Vorständen wirtschaftlich durchaus erfolgreich.
Ausblick – was ist zu tun?
Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, stellte ein Positionspapier des DGB zur besseren beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung vor. Hierin fordert sie u.a. Verbesserungen auf der Ebene der inklusiven Bildung, der Integration behinderter Jugendliche in das duale Ausbildungssystem, die weitere Integration behinderter Menschen in reguläre Arbeit sowie ein niedrigschwelliges Rückkehrrecht in die Werkstatt für behinderte Menschen. In vielen Bundesländern besteht bisher kein Recht darauf, nach einem Scheitern auf dem regulären Arbeitsmarkt in eine Werkstatt für Behinderte zurückzukehren. Eine solche Absicherung ist jedoch für Menschen mit Behinderung, die den Schritt aus der Werkstatt heraus wagen, unabdinglich.
Sowohl ReferentInnen als auch Fachleute aus dem Publikum merkten an, dass die Umsetzung bestehender Regelungen transparenter gestaltet und evaluiert werden müsste. So wären beispielsweise die Zuständigkeiten der jeweiligen Servicestellen nicht immer klar ersichtlich und Eltern behinderter Kinder würden oft von einer zur nächsten Stelle verwiesen.
Brigitte Lampersbach (BMAS) nannte als bisherige Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Konvention z.B. die Durchführung von Jobkongressen, der Programme Job 4000 und Job ohne Barrieren. Als wichtig erachtete sie zudem die Weiterführung und den Ausbau des betrieblichen Eingliederungsmanagements und der sogenannten unterstützten Beschäftigung. Die Bundesregierung plant, bis Herbst 2010 einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auszuarbeiten. Auf dem Weg dahin wird Brigitte Lampersbach sich u.a. mit Betroffenen- und Wohlfahrtsverbänden sowie mit Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen über notwendige Schritte für eine erfolgreiche Umsetzung abstimmen. Annelie Buntenbach und Dr. Valentin Aichele kündigten ihr Vorhaben an, diesen Prozess eng zu begleiten.
Eine tatsächliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland würde die Situation von Menschen mit Behinderung nicht nur auf beruflicher Ebene erheblich verbessern. Erste Schritte in diese Richtung sind erfolgt. Allen voran die Politik, aber auch ArbeitgeberInnen, Verbände, Servicestellen und Interessenvertretungen in den Betrieben sollten gemeinsam weiter konstruktiv auf ein Realisieren der Konventionsziele hinarbeiten.